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Trotz der berechtigten Kritik wegen Antisemitismus bleibt für mich der unzerstörbare Erfolg der documenta fifteen, dass sie sich radikal auf das konzentriert hat, was fast unzeigbar ist und unverkäuflich bleibt: auf den Prozess. Für Gemeinschaften relevante Kunst wurzelt in sozialen Auseinandersetzungen, die dann in Werke übersetzt werden. Bei diesem Vorgang geht auch viel verloren. Die documenta hat versucht, diese sozialen Umgebungen der Kunstproduktion mit auszustellen, die aus der Kunstrezeption lange ausgeschlossen oder von dieser zum Schweigen gebracht wurden. Dahinter stand auch die Überzeugung, dass singuläre Autor:innenschaft ein sehr enges Dogma ist, das mit der Realität von Kunstproduktion häufig wenig zu tun hat. Ideen entstehen in menschlichen Gemeinschaften und fußen damit auf sozialen Zusammenhängen. Das Produkt ist nur die Spitze des Eisbergs eines viel umfänglicheren Prozesses. Dass dem so lange nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist eine Fehlentwicklung, die zu einer Entfremdung von Künstler:innen und sozialen Gemeinschaften geführt hat. Neutrale Kunstorte sind entstanden, die für wenig stehen, und die Künstler:innen extrahieren Inhalte aus interessanten Szenen und beleben damit diese toten Orte bis zum nächsten Hype. Die documenta fifteen hat versucht, eine klare Gegenposition zu dieser Entwicklung einzunehmen: Zu künstlerischen Arbeiten waren Videos zu sehen, die von kollektiven Entscheidungsprozessen berichteten, Gruppen arbeiteten vor Ort, um die Produktionsweisen anschaulich zu machen. Von vielem hätte ich gern noch so viel mehr erfahren: Die eingeladenen Künstler:innengruppen bekamen Budgets, um andere Künstler:innen einzuladen, sie konnten dann gemeinsam frei über die Gelder entscheiden. Solche von Künstler:innen selbst kuratierten Segmente eröffneten einen kostbaren Freiraum, gerade im Zusammentreffen von Kunstschaffenden mit unterschiedlichen ökonomischen Hintergründen. Hier wurden solidarische Modelle erprobt, die wichtige Impulse für unser zukünftiges Zusammenleben geben können. Ein Schlüsselmoment der Ausstellung war für mich das Erdgeschoss im Fridericianum in Kassel: Die Ausstellungsfläche war in einen großen Gruppenraum verwandelt worden, wo Überbleibsel von kollektiven Entscheidungsprozessen zu sehen waren. Aber der Prozess war schon vorbei, die Kunstschaffenden hatten sich an anderen Tagen dort getroffen. Die Erfahrung, die die Künstler:innen gemacht haben, bleibt unausstellbar, die Arbeit des Lernens zu zeigen, ist schwierig. Aber auf diesen nicht darstellbaren Kern des Produzierens immer wieder zu verweisen, ist wichtig, damit der Vorgang des Ausstellens nicht extraktiv bleibt. Auch in unser Performance hier können wir nicht den ganzen Prozess zeigen. Wir können nicht die ganze Arbeit zeigen, die in die Dinge gesteckt wurde. Die Brühe wurde gestern gekocht. Der Nudelteig wurde vorher angerührt, das Mehl wurde von anderen gemahlen, das Getreide wurde vielleicht in einem anderen Land geerntet. Wir haben im Dezember über diese Performance diskutiert und schon vieles angedacht und festgelegt. Lotte hat mit ihrer vorherigen Arbeit einen gedanklichen Kontext aufgespannt, in dem sich dieses Ding bewegt. Wir gründen aber auch gerade eine neue Gruppe, die auf bestimmten gemeinsamen Arbeiten beruht, die zum Teil schon Jahre zurückliegen. Die Grundlage dafür, dass wir hier so zusammenarbeiten können, ist nicht ausstellbar. „[Ich] hab dieses ganze Leben gebraucht, um heute Abend hier zu stehen […]“ ist ein Zitat aus einem Song von Camille O. In der Frage vom Verhältnis von Prozess und Produkt bündelt sich total viel: Die Verwandlung eines Prozesses in ein verkaufbares Produkt, die Frage nach Sorgearbeit in der Produktion, die Einbindung der Gemeinschaft in die Kunstproduktion. Ich kenne nicht viele Beispiele für prozessuale Kunst. Vielleicht ist das aber gerade der Schritt, der jetzt geleistet werden muss, um die Ungleichgewichtungen, Ausschlüsse, Geschlechterungerechtigkeiten und unnötige Verschwendung, die die Produktionsbedingungen des Kunstbetriebs erzeugen, zu thematisieren. Jeder Versuch der Offenlegung des Prozesses demontiert das Produkt etwas und kann die gedankliche Grundlage von Institutionskritik werden. Ich kenne die quasi industriellen Arbeitsabläufe am Stadttheater, in denen die Werkstätten permanent produzieren, und nach der Premiere am nächsten Tag die Proben für das nächste Stück anfangen. Ich kenne aber auch das unablässige Produzieren in der freien Szene, wo jedes Projekt eine ungeheure inhaltliche Relevanz und Innovation behaupten muß, um gefördert zu werden, dann aber häufig nur dreimal gespielt wird, und dann muß die nächste heiße Idee her für das nächste Projekt. Welche Inhalte speisen wir in diese Apparate ein und was macht der Produktionsprozess aus ihnen? Können wir unter diesen Umständen „die Kunst als care Arbeit für Inhalte“ begreifen, wie Lotte Dohmen das genannt hat? Wir müssen die Widersprüchlichkeiten ausstellen, um zu einer Veränderung zu gelangen. Wie kann es sein, dass nicht von allen Förderungen für freie Theaterproduktionen Kinderfürsorge bezahlt werden kann, als würden diese Kosten nicht selbstverständlich zu einer Produktion dazugehören können? Die Anschaffung eines Lärmschutzes für das Kleinkind, damit es an den Proben seiner Eltern teilnehmen kann, gehört klar in das Produktionsbudget. Leben und Arbeiten muss miteinander vereinbar sein, und wo es das noch nicht ist, werden wir immer wieder darauf hinweisen. Die unerträglichen Widersprüche im Produzieren müssen offengelegt werden! Ich habe lange gedacht, die Produktionsbedingungen wären gegeben und die Institutionen seien neutral, und das sei in Ordnung so. Erst jetzt wird mir klar, dass auch ich in meiner künstlerischen Tätigkeit extraktiv gehandelt habe, und Inhalte aus meiner privaten Sphäre in den vermeintlichen neutralen Orte getragen habe, um damit künstlerisch zu punkten. Ich will versuchen, mich den Werten der letzten documenta zu verpflichten: Ich würde am liebsten die Neutralität der Orte auflösen, ich wünsche mir, dass sich Orte aus den Gemeinschaften bilden, die ein vitales Interesse an den Inhalten haben. Welcher Gemeinschaft bin ich verpflichtet? Wie kann ich Verantwortung für eine sich aus der Kunst bildende soziale Konstellation übernehmen? Ich will mich viel genauer überprüfen in meinem Drang, mich mit meinen Ideen interessant zu machen, wo kommen die Ideen her, für wen sind sie gedacht, was ist mein persönlicher Prozess damit? Ich werde mehr darüber nachdenken, wer ich bin, aber ich will auch wissen, wer ihr hier seid. Nur dann können wir zusammen kommen. >Hauke Heumann

In den letzten eineinhalb Jahren, seit ich versuche von der Kunst zu leben, habe ich viel über Arbeit nachgedacht. Künstlerisches arbeiten bedeutet manchmal Zahlen in Tabellen eintragen, manchmal Neoprenanzüge bügeln, manchmal bei Proben auf die Kinder der Kolleg:innen aufpassen oder Schleim vom Fußboden wischen, bedeutet manchmal Text durch Mikrofone sprechen, manchmal sich in Internetforen verlieren, manchmal Kaffeetassen abspülen, manchmal sehr oft hinter einander die gleiche Bewegung machen oder sehr viele quadratische Papierschnipsel ausschneiden oder Nudelteig walzen, bedeutet manchmal Text erfinden, was neues schaffen, sich was ausdenken, aber eigentlich öfter sich im Kreis drehen, auspacken, einpacken, verschütten, aufwischen, abnutzen, reparieren, dreckig machen, waschen. Die müßigen Handlungen sind für den Prozess genauso unersetzlich wie die herstellenden, sich-ausdenkenden Handlungen. Über die einen wird aber geschwiegen. In den letzten 12 Monaten hatte ich parallel, im zick-zack und übereinadergestapelt vier verschiedene Jobs mit denen ich mir meine künstlerischen Projekte querfinanziert habe: in Schulen unterrichten, was nicht im Lehrplan steht, Tutorin für meine alte Klasse sein, Interviews transkribieren für ein künstlerisches Forschungsprojekt und Toiletten putzen im Zentralwerk. Von dem letzten Job hab ich meinen akademischen Eltern nie etwas erzählt, dabei hab ich eine Menge gelernt als Reinigerin. Das künstlerische Forschungsprojekt, für das ich Interviews transkribierte, beschäftigte sich mit den Ausschlüssen und Unvereinbarkeiten, die Menschen mit Careverpflichtungen in der Freiberuflichkeit erleben – vor allem mit Müttern. Ich transkribierte insgesamt über 30 Stunden Interviewmaterial. 30 Stunden in den Personen der Freien Szene erzählen wie ihnen die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Kunst strukturell verunmöglicht wird, wie care-feindliche Produktionsbedingungen dafür sorgen, dass sie aus ihren Netzwerken fliegen und wie sie durch patriarchale Rollenbilder von Mutterschaft diskriminiert werden. Die Produktion endet mit einem Blog, einer Ausstellung und einer Lecture Performance in der all diese Missstände thematisiert werden sollten. Und mit dem Kopf auf Beton. Was die Recherche inhaltlich beschäftigt hat, begleitete auf Produktionsebene den gesamten Prozess und führte am Ende dazu, das drei der beteiligten Personen aufgrund von Krankheit, Mutter-Kind-Kur und „ich kann das alles nicht mehr ich werde jetzt Lehrerin“ ausfielen und eine Person mit Magen Darm Virus aus der Kita und Gehirnerschütterung trotzdem die Premiere spielte. Solange sich der Bühnentext nicht in der Produktionspraxis wiederspiegelt bleibt alles nur Kosmetik. Luise Meier schreibt in „die Mrx-Maschine“: Es geht genau um diese Ausfälle, es geht darum Arbeit abzufucken, blau zu machen, zu streiken, langsam zu sein, krank zu sein, wann immer es nur geht, das nicht-funktionieren, das krank-sein, das fehlen, das langsam-sein als subversive Kraft zu nutzen, die die Regeln diktiert. Zeitgleich finden in ganz Deutschland Streiks im öffentlichen Dienst statt. Krankenhäuser, Pflegeberufe, Öffentlicher Nahverkehr, Müllabfuhren, alle möglichen instandhaltenden Berufe versammeln sich zu einem gemeinsamen Arbeitskampf. Beim Freie Szene Treffen in Hamburg fragt man sich, wo die Busfahrer:innen und Klemptner:innen in unseren Publikumsreihen sind. Ich frage mich, wann wir aufhören können zu produzieren, und anfangen künstlerisches Arbeiten als Sorgearbeit zu verstehen, die Verantwortung für diese Fragen übernimmt. >Lotte Dohmen